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Geschrieben von Boris Janssen am 26. Mai 2016
Kultur und mehr

Ein Film, der das Kopfkino anschubst

„Vergessen im Harz II“ feiert am 26. Mai 2016 in Herzberg seine offizielle Kinostartpremiere

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Und plötzlich ist man wieder Eigentümer eines Hauses, das man längst verkauft hatte. Denn das Eigentum fällt zurück, weil der Käufer gar nicht der ist, für den er sich ausgeben hatte. Nur dass inzwischen ein Brand große Teile zerstört hat und sich die Versicherungen streiten, wer denn nun zu zahlen hat. Wenn ein Gebäude lange leer steht, zusehendes verfällt, weil sich anscheinend – oder scheinbar – niemand darum kümmert, dann stecken dahinter nicht selten kuriose Geschichten. Wie eben diese, die Braunlages Bürgermeister Stefan Grote über das 2009 abgebrannte Hotel Rögener erzählt.

Die Geschichte ist die zweite Episode in der neuen Dokumentation Vergessen im Harz II – dem fünften Film der Lost-Place-Reihe Geschichten hinter vergessenen Mauern. Am Samstag (21.05.2016) feierte das Film-Team um Regisseur Enno Seifried mit seiner Crowdfunding-Community die stilechte Premiere im ehemaligen Hotel Zehnpfund in Thale, ein Lost Place, dem selbst ein filmisches Kapitel gewidmet ist. Seitdem ist der Film auf DVD zu kaufen – oder noch besser: ab heute (26.05.2016) in guten Kinos auf der großen Leinwand zu sehen.

 

Wie ein Plausch mit altbekannten Nachbarn

Der zweite Teil startet dort, wo sein Vorgänger aufhörte: in Bad Harzburg. Über Braunlage führt die spezielle Harzreise in den Osten bis nach Harkerode. Und auch, wenn der Film eine „Umgebung, die in keinem Reiseführer steht“, zeigen will, wie im ersten Harz-Film stehen ganz überwiegend Hotels, Sanatorien oder FDGB-Heime im Vordergrund – Orte also, an denen einst viele Menschen Urlaub oder Kur machten, sich vergnügten, entspannten, erholten, an denen sie eine schöne Zeit verbrachten.

Heute sind diese Orte verlassen, aber zum Glück dann doch noch nicht völlig vergessen. Dem Film-Team gelingt es immer wieder, erzählfreudige Menschen vor die Kamera zu bringen, ehemalige Angestellte oder Gäste, Anwohner, Denkmalschützer oder eben Bürgermeister. Seifried lässt sie reden, gibt ihnen Raum. Er fängt ihre Eigenarten so wunderbar und respektvoll ein, dass man als Zuschauer glauben mag, mit einem altbekannten Nachbarn zu plaudern.

Dazu montiert er seine faszinierenden Bilder von den alten Bauwerken, aufgenommen zum Teil im Drohnenflug oder in Kamerafahrten, die das Gefühl vermitteln, beim Rundgang direkt dabei zu sein. Bilder und Worte zusammen erwecken die Gebäude in Gedanken wieder zum Leben, ergeben einen Film, der das Kopfkino anschubst. Gleichzeitig erzeugt der sichtbare Verfall der Häuser eine gehörige Portion Melancholie, macht die Wehmut und die Verbitterung der oder des einen oder anderen Erzählenden nachvollziehbar. Und ja, auch manch utopisch erscheinender Rettungsversuch wird schlicht sympathisch: Warum eigentlich soll man es nicht einfach probieren?

 

Das Leben geht immer weiter

Weil jedes Gebäude, jede Geschichte anders ist – und jeder erzählende Mensch sowieso – wird das Zuschauen hinter den vergessenen Mauern auch beim fünften Mal nie langweilig. Im Gegenteil: Das Team um Enno Seifried verbindet Bilder, Interviews und die selbstkomponierte Musik mit jedem Film besser und wirkungsvoller.

Emotionaler Höhepunkt ist so die Geschichte von Klaus Kleinau. 1927 geboren wurde er noch als Kind auf die elitäre Nationalpolitische Erziehungsanstalt Ballenstedt geschickt, in der die Nazis Führernachwuchs heranziehen wollten. Die Anlage im Harz war der einzige Neubau einer solchen Anstalt und sollte als Prototyp dienen. Was Kleinau hier erlebt haben muss, und vor allem welche Folgen die hier gelehrte Ideologie für die Menschen hatte, bewegt ihn noch heute zutiefst. Nach dieser Episode bleibt nur völliges Unverständnis dafür, wie solch ins Verderben führendes Gedankengut überhaupt jemals, aber erst recht mit dem Wissen der Geschichte noch Anhänger finden kann.

Bei aller Wehmut und Traurigkeit, Vergessen im Harz II ist natürlich kein Abgesang auf das Mittelgebirge. Die Häuser sind zwar geschlossen, doch für die Menschen ging und geht das Leben ja weiter. Einiges ist vergangen, doch manches kann vielleicht neu belebt werden und oft ist auch woanders etwas Neues entstanden – der ganz normale Wandel halt. Viele Kapitel enden denn auch mit Zuversicht. Und egal, was mit den einzelnen Gebäuden noch passiert, bevor am Ende die Abrissbirne kommt, bewahren Enno Seifrieds Filme sie zumindest vor einem Schicksal: dem Vergessen werden.

 

Vergessen im Harz II –
Ein Film aus der Dokumentarfilmreihe Geschichten hinter vergessenen Mauern
Regie Enno Seifried
Deutschland 2016, 98 Minuten

Offizieller Kinostart: 26. Mai 2016
Kino-Premiere: Kinowelt Central-Lichtspiele Herzberg
Vorstellungen auch in mehreren Kinos der Region

ab sofort auch auf DVD erhältlich im Eigenvertrieb (externer Link)


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