Geschrieben von ski am 06. März 2017
„Wir wissen alles, alles, alles über dich…“
Virtual Love: das Päda-Musical begeisterte auf der ganzen Linie





Wir schreiben das Jahr 2052, und die Zeiten sind nicht nur rosig. Schon das Aufwachen ist unerfreulich. Die blecherne Stimme des Computers nörgelt im schönsten Zukunftsdenglisch an den körperlichen und psychischen Werten herum und drängelt Protagonist Ben zum überfälligen Bodycheck. Schließlich droht ihm der Burnout – das ist schlecht für die Arbeitsleistung. Damit die wiederhergestellt wird, schicken ihn die drei alleswissenden Herren (Marius Bergmann, Daniel John, Tobias Metzger), die wohl nicht zufällig an die Agenten aus der Matrix erinnern, zur Erholung auf eine virtuelle Zeitreise.
Wohin zur Erholung? Zurück in die Siebziger
Aber wohin? In die 1970er. Das ist natürlich ein Kulturschock. Aber schlimmer als die FlowerPower-Klamotten und die halluzinogenen Drogen ist die Tatsache, dass Ben auf seinem Erholungstrip in die Vergangenheit zwar alles sehen und hören, aber keinen Kontakt aufnehmen kann. Die Natur kann er unter seinen Fußsohlen spüren, aber keine Fußabdrücke hinterlassen. Und als er auf Gaby trifft, kann sie ihn nicht einmal sehen oder hören. Doch Bens Freund Tom hat – trotz gewisser Skrupel und Dauerüberwachung – einen Weg gefunden, wie Ben mit seiner Angebeteten kommunizieren kann: es gelingt ihm, ein Smartphone aus dem Jahr 2017 in die Siebziger Jahre zu schmuggeln.
Romanze auf dem Smartphone
Jetzt werden Videochats möglich – und noch vieles mehr. Denn auch die Welt 2017 sieht ganz anders aus als die, die Gaby kennt. Die Symbolsprache aus Emoticons, die freiwillige Selbstentblößung auf Facebook, kotzende Katzen, bizarre Clips und Selbstdarsteller auf YouTube, und Google, das alles über jeden weiß – all das lernen Gaby (Jennifer Hajdu) und ihre Freundin Ulla (Marie Breier) kennen. Doch kein Regelverstoß bleibt in einer überwachten Gesellschaft unentdeckt. Der Boss Max Salztal (Jan-Arne Schenk) sorgt dafür, dass ihm Jahr 2052 niemand aus der Reihe tanzt. Also wird es ein echtes Aufeinandertreffen für Ben und Gaby nie geben – oder kann man seiner Zeit entkommen?
Professionelle Leistungen von allen Beteiligten
Pickepackevoll war der Bad Lauterberger Kursaal am Samstag (05.03.17) zur Aufführung des Päda-Musicals „Virtual Love“. Alle drei Jahre stemmt das Bad Sachsaer Privatgymnasium die Aufführung eines eigenen Musicals – ein gewaltiger Kraftakt, denn das, was da aufgezogen wird, hat mit einer Schulaufführung eigentlich nichts mehr zu tun. Inszenierung, Bühnenbild, Darsteller und Musiker – alles wird auf oberstem Niveau geboten.
Der Text von Marion Loges-Palatsios traf genau ins Schwarze. Das Arrangement von Andreas Bürgel brachte die Musik, die teils von Musiklehrer José V. Lopez de Vergara, teils von Tobias Metzger, Schüler aus der 12. Jahrgangsstufe, stammt, bestens zur Geltung. Und die packende Geschichte wurde durch die tollen Einfälle der Inszenierung perfektioniert. Aber ganz besonders muss man die darstellerischen Leistungen herausheben, die auf der ehrwürdigen Kurhausbühne geboten wurden – da kann sich mancher Profi eine Scheibe davon abschneiden.
Der Schulalltag kehrt zurück
Kein Wunder, dass das Publikum hingerissen war. Es war die dritte und letzte Aufführung des Musicals – aber angesichts der tollen Darbietung waren die Zuschauer der Meinung: „Die müssten jetzt eigentlich auf Tournee gehen!“ Doch der Zeitmangel in diesem Schuljahr ließ auch eine Beteiligung an den Schultheatertagen nicht zu. Stattdessen zieht nun der Schulalltag wieder ins Pädagogium ein. Schließlich musste auch einiges an Unterricht zurückstehen, seitens des Chors, des Orchesters, der Darsteller, der Akrobaten und der vielen Helfer, die nötig sind, um Bühnenbild, Requisiten und Videosequenzen herzustellen.
Senil und Sonor
Apropos Video: die mit großem Aufwand nachgestellten Werbeclips für Persil, äh, Senil („Da weiß man, was man hat“) und Lenor, äh, Sonor („Sag's nicht deiner Mutti, aber zuhause sind die Nachthemden irgendwie behaglicher“) - waren ein echtes Highlight. Auch wenn sie der heutigen Generation ebenso befremdlich vorkommen dürften, wie die Gegenwart dereinst im Jahr 2052 wirken wird. Die Elterngeneration im Publikum hatte die heute so betulich wirkende Fernsehwerbung von einst sofort wieder vor Augen - wir sind eben Kinder unserer eigenen Zeit.
Die jetzigen Kinder müssen sich mit der jetzigen Welt auseinandersetzen – Facebook, YouTube und Google inklusive. „Wir wissen alles, alles, alles über dich…..“ Wer diesen Refrain einmal im Ohr hat, wird ihn so schnell nicht wieder los. Überwachen lassen wir uns ja jetzt schon, darauf muss man nicht bis 2052 warten.