Wann kommt der Wolf?
Der Wolf ist (noch) nicht wieder im Harz ansässig - doch das ist nur eine Frage der Zeit. Doch wie man mit ihm umgehen soll, wenn es so weit ist, darüber herrscht Uneinigkeit.





Der Wolf beschäftigt die Menschen schon immer. In der Bibel ist die Rede vom gefährlichen Wolf, vor dem der gute Hirte die Schafe beschützen muss. In den Volksmärchen taucht der Wolf als bedrohliche, böste Gestalt sehr häufig auf. Und in früheren Zeiten, in denen der Verlust von Schafen, Schweinen oder Ziegen auf der Weide die komplette Existenz einer bäuerlichen Familie bedrohte, galt er als Erzfeind. Vielleicht ist deswegen der "böse Wolf" so fest im kollektiven Unbewussten verankert, und die Verunsicherung der Menschen so groß. Der Wolf ist bislang im Harz noch nicht wieder anässig - und dennoch immer wieder Thema, so wie kürzlich bei einer Diskussionsveranstaltung des Harzklubs in St. Andreasberg.
"Seit zwanzig Jahren haben wir wieder Wölfe in Deutschland, und es ist nie ein Mensch aktiv vom Wolf bedroht worden". Das sagte Andreas Berbig vom Wolfskompetenzzentrum des Landes Sachsen-Anhalt bei der Podiumsdiskussion. Doch: die Rückkehr der Wölfe löst viele Ängste aus. Noch haben sie sich im Harz nicht angesiedelt - im Gegensatz etwa zu großen Teilen von Sachsen-Anhalt, wo etwa 100 Tiere in 14 Rudeln leben, und der Lüneburger Heide, wo sich die etwa 250 Wölfe Niedersachsens angesiedelt haben.
Bislang nur auf der Durchreise
Eingewandert sind sie aus Polen, nachdem sie seit Anfang des 19. Jahrhunderts in ganz Deutschland ausgerottet waren. Wann der letzte Wolf im Harz erlegt wurde, lässt sich sogar sehr genau sagen: am 23.3.1798 bei der Plessenburg (Ilsenburg). Er soll den Wolfsklippen, einer Granitfels-Formation im Nationalpark, ihren Namen gegeben haben. Damals war die Bevölkerung froh, die Bedrohung losgeworden zu sein; heute sind Wölfe eine streng geschützte Art. Das erste deutsche Wolfspaar siedelte sich 1998 in Sachsen an; inzwischen sind sie in sechs Bundesländern ansässig.
Dass die Wölfe den Harz noch nicht wieder zu ihrer Heimat gemacht haben, heißt jedoch noch nicht, dass noch keine aufgetaucht wären: im Februar 2019 ging ein Wolf bei Wernigerode in eine Fotofalle - gar nicht so weit von den Wolfsklippen entfernt. Doch dabei handelt es sich wohl um einen "Durchzügler". Das kommt im Ostharz öfter vor: "Wölfe sind sehr mobil. Wenn sie ein eigenes Rudel suchen, können sie in kurzer Zeit große Distanzen überwinden", sagt Berbig. Dabei räumt er auch gleich mit einem Vorurteil auf: die Tiere sind zwar meist nachtaktiv, aber sie können durchaus auch mal am Tag umherstreifen. Allerdings dürften sie im Harz wegen der dichten Bewaldung kaum zu sehen sein - und wenn, dann nur aus sehr großer Entfernung, prognostiziert der Wolfsexperte.
Wie verhält man sich bei einer Wolfsbegegnung?
Doch was sollte man tun, wenn man tatsächlich - etwa als Wanderer - unvermutet einem Wolf begegnen sollte? "In die Hände klatschen, laut rufen, Krach machen - alles, was den Wolf verunsichert, dann wird er das Weite suchen", meint Berbig. Sein Kollege Konstantin Knorr vom Niedersächsischen Wolfsbüro ergänzt, was man dagegen auf gar keinen Fall machen sollte: nämlich auf den Wolf zugehen, ihn gar füttern. Denn dann droht, dass die Tiere ihre natürlich Scheu vor dem Menschen verlieren, die sogenannte Habituation - der Schritt zum Problemwolf. Ein intensives Wolfsmonitoring soll dem vorbeugen: "Wir sehen sehr genau hin, wenn ein Wolf dem Menschen auf unter 30 Meter nahekommt", sagt Knorr. Ein Wolf wurde bereits "der Natur entnommen", wie die Fachleute sagen - also getötet, da er zu wenig Scheu vor dem Menschen zeigte. Eine andere Möglichkeit gab es nicht: "Ein auffälliger Wolf kann aus Tierschutzaspekten nicht in Gefangenschaft gehalten werden", so Knorr.
Warum sich bislang kein Rudel oder Wolfspaar fest im Harz angesiedelt hat, obwohl man längst damit gerechnet hatte, da sind sich die Experten nicht ganz sicher. "Die Wölfe stammen aus Westpolen, aus dem Flachland also", sagt Wolfsexperte Berbig: "Vielleicht ziehen sie deshalb noch die Ebene vor". In Niedersachsen siedeln sie etwa auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Munster. Doch dass sie sich früher oder später auch das Mittelgebirge als Lebensraum erobern werden, das gilt als sicher. Bis zu drei Rudel hätten Platz - je nach Beuteverfügbarkeit ist ein Territorium typischerweise 200-300 Quadratkilometer groß. Berbig und seine Expertenkollegen sind sich sicher: "Wir stehen noch am Anfang der Ausbreitung".
Das wiederum treibt anderen die Sorgenfalten auf die Stirn. Allen voran die Weidetierhalter: in der Lüneburger Heide gibt es immer wieder Schafe, die von Wölfen gerissen werden. Auch Rinderherden wurden bereits angegriffen. Als Schutzmaßnahmen werden wolfsabweisende Zäune und Hütehunde empfohlen. Elektro-Schutzzäune, die den intelligenten Tieren etwas entgegenzusetzen haben, sind jedoch eine kostspielige Angelegenheit. Die Materialkosten werden zwar vom Land übernommen, aber der Aufwand für Aufbau und Pflege ist hoch.
Landwirte fürchten um ihre Weidetiere, Jäger um den Wildbestand
Jürgen Hirschfeld, Kreislandwirt in Goslar, fürchtet um die Weidetierhaltung: "Hier im Harz ist es schon aufgrund der geographischen Gegebenheiten praktisch unmöglich, auf den Bergwiesen überall wolfsabweisende Zäune zu errichten." Nicht nur Landwirte, auch viele private Tierhalter werden aufgeben, wenn die Wolfsschäden kommen, warnt er: "Das betrifft zum Beispiel auch das Harzer Rote Höhenvieh". Er fordert eine zahlenmäßige Begrenzung des Bestands, sozusagen eine Wolfsobergrenze: "Wir müssen uns fragen: Wie viele Wölfe verträgt Niedersachsen?"
Ähnliches fordern die Jäger: "Der Wolfsbestand wird sich ein einer Zivilisationslandschaft grundsätzlich nicht selbst regulieren", sagt der deutsche Jagdverband. Er fürchtet einen Rückgang der Wildbestände und fordert wolfsfreie Zonen, wie beispielsweise die Deichschäfereien. Außerdem will er die Aufnahme der Wölfe ins Jagdrecht erreichen. Damit wäre über kurz oder lang der Weg zu einer Abschussquote frei. Noch steht der Wolf aber unter besonderem Schutz und hat deswegen auch in Sachsen, wo er als einziges Bundesland dem Jagdrecht unterliegt, ganzjährig Schonzeit, darf also nicht bejagt werden.
Allerdings gibt es andere Gefahren für Wölfe, allen voran der Straßenverkehr. Die stark zersiedelte Landschaft tue ein Übriges dazu, dass sich der Bestand von alleine regulieren wird, sobald eine stabile Populationsgröße erreicht ist, meint der NABU dazu. Die Befürchtungen der Jägerschaft, Wölfe im Revier würden den ganzen Wald leer fressen, sei daher unbegründet - das Wild stelle sich nach und nach wieder in seinem Verhalten auf den Wolf ein und werde vorsichtiger. Dies hätten die Erfahrungen in der Lausitz gezeigt. Der NABU wendet sich in seiner Aktion "Hände weg vom Wolf!" gegen eine Aufweichung des strengen Artenschutzes.
Ob die Rückkehr der Wölfe begrüßt oder kritisch gesehen wird, über eines sind sich die Experten einig: "Wir sind noch am Anfang der Entwicklung, die Wolfsbestände in Deutschland werden noch wachsen." Und früher oder später werden sich die ersten Wölfe auch wieder im Harz ansiedeln.