Von Baumängeln und Bällen
Die Geschichte des Bad Lauterberger Kurhauses








„Wenn dieser Saal erzählen könnte, dann wären wir alle an Weihnachten noch nicht wieder zuhause!“: so begann die langjährige Ratsfrau und Expertin der Bad Lauterberger Lokalgeschichte Gudrun Teyke ihren kürzlichen Vortrag über das Bad Lauterberger Kurhaus. Stattliche 110 Jahre alt ist das Gebäude in diesem Jahr geworden. Bis zur Einweihung im Mai 1912 war es allerdings schon ein langer und aufregender Weg gewesen. Denn nach der Jahrhundertwende waren die segensreichen Jahre, in denen Familie Ritscher die Kaltwasserheilanstalt gegründet hatte, allmählich vorbeigegangen. Zwar blühte das Herzstück der Stadt, das von Herrmann Ritscher gegründete Sanatorium, das heute das Rathaus beherbergt. Der damalige Inhaber Dr. Dettmann führte es mit großem Erfolg und baute 1900 einen Speisesaal, den heutigen Ratssaal, an. Doch der Rest des Fleckens Lauterberg konnte mit den gewachsenen Ansprüchen der Gäste nicht mithalten. Mondäne Bäder, ja, Staatsbäder waren gefragt – unbeheizte Durchgangszimmer ohne elektrisches Licht, wie man sie in Lauterberg noch hatte, waren bei den Gästen nicht mehr gefragt.
Gewachsene Ansprüche, große Pläne – und wenig Geld
Der damalige Bürgermeister von Ernsthausen beobachtete die Entwicklung mit Sorge. Er beantragte den Titel „Bad“ für den Flecken Lauterberg, und an Weihnachten 1906 kam der Bescheid, dass dem Antrag stattgegeben wurde. Fortan durfte man sich „Bad Lauterberg“ mit dem Zusatz „im Harz“ nennen. Und Ernsthausen hatte noch mehr Pläne: 1907 verkündete er den Plan, ein neues Kurhaus zu bauen, das das alte Cur- und Logierhaus ablösen sollte. Damit wollte er den gestiegenen Ansprüchen der Gäste entgegenkommen und gleichzeitig Arbeit für die örtlichen Handwerker schaffen. Doch sein Vorhaben stieß nicht gerade auf ungeteilte Begeisterung: vor allem die örtlichen Gastwirte witterten unliebsame Konkurrenz. Andere Bürgerinnen und Bürger befürchteten vor allem eines: Steuererhöhungen.
Doch der Bürgermeister blieb hartnäckig. Zwei Jahre sollte es dauern, bis der Magistrat dem Vorhaben endlich zustimmte. 80.000 Mark für den Bau des Kurhauses und weitere 10.000 Mark für die Inneneinrichtung waren veranschlagt – eine Wahnsinnssumme. Unmöglich für das kleine und arme Lauterberg, so viel Geld aufzubringen. Die Finanzierung musste also über Anteilsscheine erfolgen. Damit hatten die Lauterberger bereits beim alten Badehaus und dem Bau der Volksschule in der Schanzenstraße 1904 gute Erfahrungen gemacht. Der erste Zeichner war übrigens Dr. Alberti von den Barytwerken, der alleine fast 10% des Baupreises aufbrachte. Zahlreiche Namen der damaligen Anteilszeichner kennt man in der Stadt auch heute noch, wie beispielsweise Schwickert, Rudolphi, Haltenhoff, Hillegeist und viele andere. 51.000 Mark kamen so zusammen, den Rest lieh sich die Gemeinde bei der Darlehenskasse.
Planungsmängel und Skepsis bei den Einwohnern
Doch, ähnlich wie dies auch heute noch oft der Fall ist, lief beim Bau nicht alles glatt: der Bau verzögerte sich aufgrund fehlender Berechnungen und eines langen Winters. Als er dann 1911 begonnen wurde, wurde viel über die große Baustelle mitten im Kurpark genörgelt. Und schon kurz nach der festlichen Einweihung am 12. Mai 1912 mit einem großen Ball gab es Baumängel: die halbkreisförmig gebogene Decke des Saals drohte vom Dach eingedrückt zu werden und es musste schon bald eine gerade Decke eingezogen werden. Ausserdem drückte das Dach die Wände der Saalnordseite nach außen, und eine Veranda musste eilige vorgesetzt werden. Doch die zunächst so skeptischen Bürgerinnen und Bürger des Ortes söhnten sich allmählich mit ihrem Kurhaus aus und frequentierten es fleißig. Vor allem die vielen, vielen Bälle und Konzerte haben ihm Bedeutung nicht nur für die Gäste, sondern auch für die Einheimischen verliehen. Später wurde es der erste Kinosaal Bad Lauterbergs. In den 1920er Jahren kamen jedoch wieder schwierige Zeiten für den Kurort. Mit Hilfe des Kneipp-Bundes und der Kneipp-Bewegung ging es jedoch wieder aufwärts und der Flecken Lauterberg wurde zum 2. Kneipp-Kurort nach Bad Wörishofen.
Glanzvolle Zeiten voller Bälle und Konzerte
1929 erhielt Bad Lauterberg das Stadtrecht. Im gleichen Jahr übernahm die Stadtverwaltung das Kurhaus und zahlte die Anteilseigner aus. Hatte man 1939 gerade noch das 100-jährige „Badejubiläum“ (Gründung der Kaltwasserheilanstalt) gefeiert, so brach kurz danach der zweite Weltkrieg aus, während dessen ein Lazarett ins Kurhaus verlegt wurde. In der Nachkriegszeit wurden bald wieder Tanzabende und Bälle veranstaltet, und Konzerte mit großen Stars fanden sich auf der Kursaalbühne ein. Außerdem sorgte der Theaterring dafür, dass fast jeden Monat ein Theaterstück aufgeführt wurde. Bemerkenswert waren auch die Auftritte der Bad Lauterberger Laienspielgruppe, zu denen Hunderte von Besuchern kamen. Von Kaffeefahrten über Betriebsfeiern der ortsansässigen Firmen, von Schachturnieren bis Tanzturnieren reichten die Veranstaltungen. Und immer wieder gab es die großen Bälle: Rosenball, Chrysanthemenball, Polizeiball und natürlich die Sportlerbälle. MTV, SVL und LSKW hatten teilweise an drei aufeinanderfolgenden Samstagen den Saal mit Maskenbällen und Karnevalsveranstaltungen gefüllt.
In den Saal mit der hölzernen Rutsche
Ein besonderer Clou dabei war übrigens die hölzerne Rutsche vom Balkon bis hinunter in den Saal, über die man den Saal betreten konnte. „Viele können sich noch an die Rutsche erinnern, aber niemand in der ganzen Stadt hat ein Foto davon“, bedauerte Gudrun Teyke. Legendär auch die feinen, stilvollen Bälle der französischen Einheit und natürlich der jährliche MTV-Ball zu Weihnachten.
Der wohl größte Publikumserfolg war jedoch wohl, als einmal die Wiener Sängerknaben im Kursaal gastierten und sich über 1000 Menschen im Saal, auf der Terrasse, dem Foyer und dem Balkon drängten, um sie zu sehen. Nervenstärke bewies Rudi Schuricke, ein berühmter Sänger (Capri-Fischer): während seines Konzertes im Kursaal kam die Decke herunter – er setzte es kurzerhand in der Kurparkmuschel fort.
1965/66 erfolgte ein großer Umbau: Lesesaal, Musiksaal und Schreibzimmer wurden zum „Blauen Salon“ umgebaut, in welchem zahllose Jahreshauptversammlungen und Familienfeiern ausgerichtet wurden. Inzwischen ist er gesperrt – denn nachdem der Brandschutz des Landkreises zunächst eine Fluchttreppe verlangt hatte, die auch gebaut wurde, wurde nun noch eine zweite Fluchttreppe zur Auflage gemacht, die mitten auf der schönen Kurhausterrasse herausgekommen wäre. „Das hätte die schöne Fassade verschandelt“, so Teyke.
Viele Pächter hat das Kurhaus in seiner 110-jährigen Geschichte kommen und gehen sehen, mit unterschiedlicher Fortüne. Zuletzt war es eine ganze Zeit lang ohne Pächter geblieben. Um so mehr freue sie sich darüber, dass mit Melanie Biniara nun eine tatkräftige Pächterin mit vielen Ideen sich dem Kurhaus angenommen hat, erklärte die langjährige Ratsfrau: „Ich bin überzeugt: sie wird das Kurhaus wieder wachküssen und die Lauterberger werden es ihr danken!“
Teykes Vortrag wurde kongenial umrahmt von Dr. Cordula Sachse-Seeboth, die selbst komponierte Stücke am Flügel vortrug, und Liedermacher Frank Bode. Er beschloss den Abend mit dem „Lauterberg-Lied“ : „Bad Lauterberg, du bist mein Städtchen“, das einst zum 150-jährigen Badejubiläum von der Band „Moijn Dry“ mit Wolfgang David komponiert worden war. Bürgermeister Rolf Lange bedankte sich mit einem Blumenstrauß bei der Referentin Gudrun Teyke, die so lebendig von den guten und schlechten Zeiten des Kurhauses erzählt hatte: „Niemand kennt die Bad Lauterberger Geschichte so gut wie sie.“
Fotos: zusammengetragen von Gudrun Teyke / Archivgemeinschaft Bad Lauterberg