.

Diese Webseite verwendet Cookies. Mit der weiteren Nutzung von LauterNEUES erklären Sie sich damit einverstanden.

Donnerstag, 28. März 2024
Login



Geschrieben von ski am 21. Mai 2019
Aktuell

„In der Familie weiß oft niemand Bescheid“

Wenn die Rente nicht reicht: Dr. Esther Gajek referierte über Altersarmut bei Frauen – Aktionstag in Osterode

Von links: Angelika Kiep (Gleichstellungsbeauftragte Herzberg), Susanne Dreymann, Leitung Fachbereich Häusliche Gewalt, Dr. Sandra Bonetto (Frauen für Frauen Osterode e.V.), Inge Holzigel (Gleichstellungsbeauftragte Bad Lauterberg)
Von links: Angelika Kiep (Gleichstellungsbeauftragte Herzberg), Susanne Dreymann, Leitung Fachbereich Häusliche Gewalt, Dr. Sandra Bonetto (Frauen für Frauen Osterode e.V.), Inge Holzigel (Gleichstellungsbeauftragte Bad Lauterberg)
frauen_bonettpo1.jpg
Am Waffelstand wurde nebenher über das Thema weibliche Altersarmut aufgeklärt
Am Waffelstand wurde nebenher über das Thema weibliche Altersarmut aufgeklärt
Dr. Esther Gajek von der Universität Regensburg informierte über das Forschungsprojekt zum Umgang der Frauen mit Altersarmut
Dr. Esther Gajek von der Universität Regensburg informierte über das Forschungsprojekt zum Umgang der Frauen mit Altersarmut

„Die Frauen bleiben ein Leben lang die Sorgenden“, stellten Dr. Esther Gajek und ihre Kolleginnen bei ihrer Forschungsarbeit fest: „Sie wollen immer nur geben. Wenn das Geld im Alter nicht reicht, ist die Scham gegenüber dem engsten Umkreis groß.“ Wieviel die Mutter oder Großmutter eigentlich an Rente bekommen, das ist oft bei den Familien überhaupt kein Thema. Und dass es oft nicht reicht – das geben die Frauen am liebsten gar nicht zu. Das fanden die Forscherinnen bei ihren Interviews heraus, für die sie 50 Frauen zwischen 50 und 80 Jahren in München befragten. Es war allerdings gar nicht leicht, so viele Interviewpartnerinnen zu finden – so groß ist die Scham.

Wie Frauen in die Altersarmut geraten

Doch die Altersarmut bei Frauen ist ein verbreitetes Problem, die Dunkelziffer ist hoch. In teuren Städten können sich viele Rentnerinnen die Mieten nicht mehr leisten. Das ist kein Zufall: „Frauen, die in den fünfziger oder frühen sechziger Jahren erwachsen wurden, sind oft Bildungsverliererinnen“. Man hat keinen großen Wert auf eine Ausbildung oder gar ein Studium gelegt, denn es galt als klar, dass die Frauen sowieso heiraten. Und dann? Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, später Teilzeitarbeit, meist in schlecht bezahlten Berufen – das führt zu großen Erwerbslücken bei den Frauen, die nun im Rentenalter sind und entsprechend wenig Rente erhalten. „Frauen haben zu wenig eingezahlt – vor allem Minijobs treiben die Frauen förmlich in die Altersarmut“. Als weitere Risikofaktoren nennt Gajek vor allem Scheidung, Single-Haushalt und: „Man hat sich nie – oder viel zu spät – um die Finanzen gekümmert“. Das Drei-Säulen-Prinzip aus gesetzlicher Rente, Betriebsrente und privater Vorsorge, auf dem nun die Alterssicherung basiert, komme vor allem den Männern entgegen. Bei den typischen Frauenbiographien kommt am Ende nur eine Minirente heraus. Und die Grundsicherung im Alter wird von vielen gar nicht erst in Anspruch genommen: „Die Frauen schämen sich und fürchten auch diese Durchleuchtung vom Amt“.

"Minijobs treiben die Frauen förmlich in die Altersarmut"

Wie gehen nun die Frauen damit um, dass das Geld nicht reicht? Sie arrangieren sich eben, irgendwie, so wie diese Generation es gewohnt ist: man will ja niemandem zur Last fallen. Es wird eben gespart, man kann ja noch kochen und haushalten. „In mittleren Milieus gibt es auch sehr aktive Frauen, die Geld durch Tauschbeziehungen ersetzen können“, beispielsweise in Tauschzirkeln. Überhaupt spielen Beziehungen eine große Rolle: „Soziales und kulturelles Kapital wird genutzt, um fehlendes ökonomisches Kapital zu kompensieren“. Wo das jedoch fehlt, wo die Frauen zusätzlich einsam sind, wird es sehr schwierig: sie ziehen sich zurück, in die Unsichtbarkeit“. Bezeichnend ist, so Gajek, dass die Frauen sich oft selbst nicht als arm sehen, sondern sich mit anderen vergleichen, die noch schlechter dran sind: „Dagegen geht es mir ja noch gut“.

Aktionstag gegen weibliche Altersarmut

Gegen die Altersarmut muss auch politisch viel mehr getan werden, fordert Gajek, wie etwa eine Anhebung des Rentenniveaus, eine bessere Anerkennung von Care-Arbeit und Maßnahmen gegen die enorm angestiegenen Mietpreise in den Städten. Und die jungen Frauen müssen sich viel früher selbst mit ihrer finanziellen Situation beschäftigen und sich beispielsweise einmal ihre Rente ausrechnen lassen. Minijobs, Teilzeitarbeit: das kann ganz schnell zur Falle werden, warnt sie. Ihre Hoffnung, dass Altersarmut bei Frauen mehr in den öffentlichen Blickwinkel rückt und mehr dagegen getan wird, wurde von den Zuhörerinnen ihres Vortrags geteilt: „Wir werden nicht lockerlassen, gerade auch bei den jungen Frauen immer wieder das Thema anzusprechen“, da waren sich die Beraterinnen von Frauen für Frauen e.V. und die Gleichstellungsbeauftragten einig. Zum Aktionstag gegen weibliche Altersarmut am Samstag, den 18.5.19 hatten sie eine Waffel- und Würstchenstand in Osterode organisiert. Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit ist notwendig.

Diese Frauengeneration ist nicht gewohnt, aufzubegehren

Denn von den vielen Frauen, die jetzt von Altersarmut betroffen sind, ist – trotz ihrer großen Zahl - kein öffentlicher Druck zu erwarten. Man versteckt sich lieber und zieht sich zurück: „Das ist eine Generation von Frauen, die gewohnt ist, zurückzustecken und sich zurückzunehmen. Die sind es nicht gewohnt, aufzubegehren“, so Gajek. Die Verhältnisse müssen sich ändern - doch es wird an den jüngeren Frauen liegen, dafür zu sorgen, dass das geschieht.

Fotos: Dr. Sandra Bonetto, Inge Holzigel, ski

 


.................................................................................................................................................

Bild der Woche