Lautlos über die Landschaft schweben
Segelfliegen ist ein Teamsport - beim Luftsportverein Hattorf kann man ihn lernen
Der Höhenmesser zeigt 1100 Meter, die Sonne strahlt, nur wenige Wölkchen sind, fein säuberlich wie an einer Schnur aufgereiht, zu sehen, und der Blick: atemberaubend. Freie Sicht vom Harz bis zum Solling, Wälder, Berge, wie Schachbretter wirkende Felder. Bis auf das Geräusch des Variometers (Steigmesser), gleitet das Segelflugzeug Typ Janus C nahe los lautlos durch die Lüfte. Der Pilot: Wolfgang Barke. Erfahren, routiniert und schon seit vielen Jahrzehnten Mitglied im Luftsportverein Aue/Hattorf (LSV).
Viele Hände werden benötigt
„Wenn einer fliegt, müssen fünf arbeiten“, heißt es in Segelflieger-Insiderkreisen. Denn auch wenn es für den Laien vielleicht zunächst nicht so aussieht, das Segelfliegen ist ein Teamsport. Die Winde, mit der das Flugzeug in die Luft gezogen wird, muss bedient und der Startwagen besetzt werden, und dann sind da noch die vielen Handgriffe zu erledigen, damit das Segelflugzeug startklar ist, während der Pilot schon in seinem Cockpit sitzt.
Der Startvorgang beginnt zunächst ruhig. Wenn der Segelflieger auf der Startpiste an der Seilwinde hängt, muss diese zunächst ganz vorsichtig gestrafft werden, das dauert einen Moment. Die Spannung steigt. Ist das Seil straff, wird die Winde angezogen und es geht von Null auf 100 Stundenkilometer und steil nach oben. Die Kräfte drücken den Körper in den Sitz. Dann, bei einer Höhe von etwa 350 Metern, das Klicken. Der Pilot klinkt das Seil aus und ist von nun an auf die Thermik angewiesen. Die Thermik ist das A und O, und das Segelfliegen ein Sport, der ständiges Abwägen der Wetterverhältnisse erfordert. Die Thermik ist eine Form des Aufwindes, die dadurch entsteht, dass Sonneneinstrahlung die Erdoberfläche und in der Folge die Luft in Bodennähe erwärmt. An diesem sonnigen Tag im September konnten die Segelflieger bei guter Thermik in vollen Zügen genießen. Und dennoch dauert es eine Weile, um beim sogenannten „Thermik-Kreisen“ auf eine gute Höhe zu kommen. Die Belohnung: ein gigantischer Panoramablick. „Was uns alle an diesem Sport fasziniert, ist die Freiheit, die man hier oben spüren kann“, sagt Barke.
Dank des idealen Wetters führt der Flug des Piloten diesmal bis nach Katlenburg. Aber auch wenn die Thermik einmal ausbleiben sollte, reicht es zumindest immer zur sogenannten Platzrunde. Denn auch ohne Aufwinde kann ein Segelflugzeug aufgrund der aerodynamischen Bauweise und seiner großen Flügelspannweite wesentlich länger in der Luft gleiten als andere Flugzeuge. Mit einem weit gezogenen Halbkreis geht es nach einer guten halben Stunde wieder nach unten. Die Häuser und Bäume werden langsam wieder größer und der Janus setzt zur Landung an. Jetzt muss das Flugzeug zurück an die Startposition geschoben werden. Auch hierbei ist Teamarbeit gefragt.
Ohne Teamgeist kommt keiner nach oben
Der LSV Aue/Hattorf hat zur Zeit 100 Mitglieder, darunter 14 Jugendliche. Nur gemeinsam bringen sie sich gegenseitig in die Luft. Die jüngsten sind gerade mal 14, die ältesten über 70 Jahre alt. Es sei ein Sport, den die Familie mittragen müsse, erklärt Hans-Peter Dreier, der schon seit 1963 dieses Hobby ausübt. Seit 1994 ist der Hannoveraner Mitglied im LSV. „Damit alles klappt, ist Teamgeist wichtig. Sonst kommt hier keiner nach oben“.
Bei viel Betrieb geht auf dem Flugplatz Hattorf ein Flugzeug nach dem anderen von der gut einen Kilometer langen Graspiste in die Luft. Die Faszination sei für ihn, die verschiedenen Möglichkeiten der Flugtechniken selbst bestimmen zu können und die Natur zu genießen. „Und man bleibt länger jung“, so Dreier augenzwinkernd. Als Fluglehrer arbeitet er mit den Jugendlichen, fördere diese und werde dabei auch selbst gefordert, weil man an ihrer Entwicklung teilhabe. Die „Flugplatzkinder“, wie sie im Verein genannt werden, die schon von klein auf die Eltern begleiten, lernen schnell, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Denn aus Sicherheitsgründen müssen auf dem gesamten Gelände Regeln eingehalten werden.
Das sportliche Angebot im LSV reicht vom Entspannungsflug bis zum Strecken- und Segelkunstflug. Einen Einblick konnten sich die Besucher kürzlich bei dem inzwischen traditionellen Flugplatzfest verschaffen. Das Flugplatzfest ist schon seit vielen Jahren ein Besuchermagnet.
Nicht teuer, aber zeitintensiv
Entgegen der weit verbreiteten Meinung ist Segelfliegen kein übermäßig teures oder elitäres Hobby. Da die Fluglehrer im LSV ehrenamtlich tätig sind und die Vereinsflugzeuge selber gewartet werden, ist die Mitgliedschaft erschwinglich. Das Hobby ist jedoch sehr zeitintensiv. Von Ostern bis Oktober wird geflogen, im Winter werden die Flugzeuge gewartet und repariert. Für die Flugschüler heißt es dann auch, Luftrecht, Meteorologie und Flugtheorie zu pauken.
Auch wenn die Theorie ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung ist, kommt es beim Segelfliegen vor allem auf ständige Konzentration an. Es gilt permanent, die Situation einzuschätzen und beherrschen zu können. Aber das braucht viel Erfahrung und Routine. Ob beim Genussflug oder beim Looping, der Pilot muss jeden Moment voll bei der Sache sein. Dabei ist es neben der Konzentration in der Luft auch wichtig, mögliche Risiken und die eigene Tagesform richtig einzuschätzen.
Und vielleicht ist es das, was die Faszination beim Gleiten durch die Luft ausmacht. Sich mit den physikalischen Naturgesetzen auseinandersetzen, um in der Luft die Rundum-Perspektive und einzigartige Momente zu erleben. „Manchmal wird man beim Flug von verschiedenen Vögeln eine Weile begleitet, das ist ein besonderes Erlebnis“, so Dreier. In der Mittagssonne ziehen noch weitere Segelflugzeuge weit oben ihre Kreise, während ein anderes zur Landung ansetzt. Diesen idealen Spätsommertag werden die Segelflieger noch lange ausnutzen. Und vielleicht sind sie am nächsten Wochenende auch wieder da, schwebend über der Landschaft zwischen Harz und Solling.